Kamee und Phanolith Kreationen
Es dauerte in Mettlach fast 50 Jahre bis man vom Reliefstil (Anfänge um 1840) in eine neue, auf den ersten Blick ähnliche Produktionstechnik wechselte, dem Kamee (engl: Cameo) und Phanlolith (= sichtbarer Stein, aus dem Griechischen phanein = "sichtbar werden, zum Vorschein kommen" und lithos = Stein).
Etwa 1893 wurde dieses zweifarbige (Pâte-sur-Pâte) Steinzeug in Mettlach eingeführt und hatte seinen Höhepunkt in der Weltausstellung in Paris in 1900. Im Jahre 1901 wurde es in den Mettlacher Steinzeugkatalog aufgenommen. Meister in der Anwendung dieses neuen Produktionsverfahrens war der Mettlacher Modelleur "Jean-Baptiste Stahl".
Aus mündlichen Überlieferungen innerhalb der Familie Stahl weiß man, dass es sich um den Werkstoff "Parian" gehandelt haben soll, den Jean-Baptiste Stahl bei der Erstellung seiner Kamee- und Phanolith-Kreationen für Mettlach benutzt hat.
Parian ist eine Art "Porzellan", dass seit dem 2. Drittel des 19. Jahrhunderts Anwendung fand, vor allem in der Herstellung von Puppenköpfen, Büsten und Figuren. Es hat einen seidig schimmernden Glanz aber nicht so stark glänzend wie glasiertes Porzellan.
Der Name geht auf den von Bildhauern geschätzten Marmor der griechischen Insel "Paros" zurück. Parian wurde 1844 zum ersten Mal in der Copeland Manufacture und in der Mintons's Pottery (beide in Stoke-on-Trent, Staffordshire in England) hergestellt.
Die Zusammensetzung von Parian ist durch eine handgeschriebene Herstellungsanleitung überliefert:
- 63,75% Kieselerde
- 29,70% Tonerde
- 4,40% Natron
- 1,50% Kalk
- 0,50% Bittererde
- 0,15% Bestandteile, die der Porzellanmeister geheim hielt
Parian wurde auch in der Mettlacher Faiencerie ab 1852 bei der Herstellung von Trinkbechern, Statuen, bebilderten Krügen und Gebrauchsgegenständen eingesetzt. Die Zusammensetzung der Masse war mit der Englischen vergleichbar. Es handelte sich um ein weißes, widerstandsfähiges Steinzeug, das feinkörnig und glänzend war und den Marmor aus Paros zu imitierten versuchte.
Die Rezeptur für das "Parische Porzellan", welches man für die Kamee- und Phanolith-Produkten Ende des 19. Jahrhunderts einsetzte, dürfte in Mettlach natürlich auf die besonderen Eigenschaften bei der Nutzung auf Keramiken angepaßt worden sein.
Der große Unterschied zu den bisher gefertigten Reliefprodukten liegt in der viel feineren, dünneren Parischen Porzellan-Masse, die man auf den Korpus der Keramiken auftrug, was ein Durchscheinen des Hintergrunds (grün oder blau) an den dünnsten Stellen ermöglichte und somit Schattierungen mit einhergehender Tiefenwirkung ermöglichte. Besonders gut ließen sich wehende lange Haare, dünnstoffige, faltige Gewänder, Gesichter und Blumengirlanden darstellen.
Durch die Verwendung dieses deutlich dünneren Werkstoffs "Parian" (im Gegensatz zu den weit vom Keramik-Korpus hervortretenden Relieffiguren aus Ton) war aber auch die Toleranz zwischen den Materalien (Korpus und Dekormasse) viel geringer.
Die Schwierigkeit bestand darin, dass die Parian-Masse für das Dekor beim Brand gegenüber der Keramik bis zu 20% mehr schwindet. Um unschöne Brandrisse zu vermeiden, mußten die Mettlacher Keramiker einen Materialmix zusammenstellen, das ähnliche Ausdehnungseigenschaften wie die Keramik hatte.
Es bedurfte einer über Jahre andauernden Experimentierphase in Mettlach, bis man die richtige Zusammensetzung herausgefunden hatte. Was dabei herauskam war ein, neben der Chromolith-Produktion, weiterer Höhepunkt der Keramik-Produktion an der Saar, was nicht nur technisch, sondern auch ästhetisch von einer hohen Perfektion war.
Verfahren:
Bei der Herstellung der Kamee- und Phanolith Produkte wurden zuerst die Trägerobjekte (Vasen, Wandteller, ...) im Schlickergussverfahren (so der aktuelle Kenntnisstand) geformt, mit einer zartgrünen bzw. blauen Mattglaur eingesprüht und dann vorgebrannt. In einem davon getrennten Arbeitsschritt wurden die Dekore (Figuren) aus der bereits genannten elfenbeinfarbigen Parian-Masse auf die vorgebrannten Trägerobjekte aufgelegt.
Wie dieses Auflegen der Porzellanmasse nun vonstatten ging, ist noch nicht endgültig belegt. Es gibt die Theorie, dass diese Dekor-Masse separat ausgeformt wurde und anschließend auf das Trägerobjekt aufgebracht wurde.
Ein etwas anderer, neuerer Denkansatz geht davon aus, dass in einem zweiten Schlickerguss das Porzellandekor (Phanolith) aufgetragen wurde und dass man anstatt Gips auch Wachsformen genutzt hat, um die äußerst detaillierten Merkmale des Dekors zu erstellen.
Dafür sprechen würden die kleinen Fehler, die man bei genauerem Hinschauen auf einigen Objekten mehr oder weniger erkennt. Dies können kleine, aufgeplatzte (Luft-) Blasen auf dem Dekor, Spuren von Linien aus der Schlickerguss-Form oder auch Spuren von der weißen Parian-Masse auf der gesamten Oberfläche sein. Ein Punkt, der mit Sicherheit noch nicht ausdiskutiert ist.
In einem zweiten Brand verschmolzen die beiden Materalien (Keramik-Träger und Porzellan-Masse) miteinander und die Dekormasse wurde fixiert.
Warum unterscheidet man nun zwischen Kamee- (= Cameo, auch unechtes Phanolith genannt) und der echten Phanolith-Keramik? Eigentlich wurden Phanolith-Wandteller und -Vasen (keine Krüge) in dem selben Formungsverfahren hergestellt wie die Kamee-Produkte.
Beim (echten) Phanolith waren aber die Toleranzen beim Brand noch geringer und das Material noch feiner als beim Kamee, so dass man mit den Schattierungen spielen konnte und eine Vorstellung von Räumlichkeit (ähnlich wie in der Malerei mit den Farben) in der Bildfläche erzeugen ließ.
Dieses noch aufwendigere Verfahren der Herstellung und Modellieren beim echten Phanolith machte die Produkte auch deutlich teuerer als die Kamee-Produkte. So kostet dasselbe Kamee-Produkt in echtem Phanolith hergestellt in den Mettlacher Preiskatalogen fast das Doppelte.
Unterscheiden kann man Kamee- und (echte) Phanolith-Artikel auch durch ihre Modellnummer (Formnummer). Kamee-Nummern liegen zwischen #2000 und #3500, die Phanolith-Nummern alle über #7000.
Neueste Erkenntnisse zeigen, dass die Anzahl von Produkten in echten Phanolith recht bescheiden ist. In den Mettlacher Preiskatalogen von 1905 bis 1908 tragen lediglich 80 verschiedene Produkte ausdrücklich die Bezeichnung "Phanolith, alles Gegenstände mit einter 4stelligen Nummer, beginnend mit der Zahl "7".
Die ganze Phanolith-Produktion läßt sich zeitlich gut einordnen, da sie zwischen 1901 und 1910 in den Verkaufkatalogen abgebildet wurden. Die Preise entsprechen dem Qualitätsunterschied zwischen Kamee- und (echtem) Phanolith.
Kamee-Wandteller mit den Formnummer #2442 und #2443 kosteten damals etwa 10 RM, während gleich große Phanolith-Teller ungefähr das Doppelte einbrachten. Wenn man die Preise mit etwa gleich großen Tellern in Chromolith-Technik vergleicht, wie z.B. die sehr begehrten Teller "Schneewittchen und Papageno (Formnummern: #2148 und #2149)" mit jeweils 10 RM oder die Teller mit den "Rittern der Häuser Habsburg und Hohenzollern (Formnummern: #2187 und #2188)" mit jeweils 12 RM, dann waren echte Phanolith-Teller sehr teuer, was auf eine aufwendige Produktionstechnik schließen läßt.
Um die genauen Unterschiede kennen zu lernen, sollte man sich z.B. diesselbe Vase kaufen, welche einmal in Kamee- und ein weiteres Mal (später) in Phanolith hergestellt wurde (z.B. Formnummer #2446 und #7010). Auch ohne ein geschultes Auge lassen sich dabei die Qualitätsunterschiede auch von einem Laien leicht identifizieren.
Möchte aber hier anmerken, dass die Anzahl von identischen Objekten, die in den beiden Herstellungsvarianten produziert wurden, sehr gering ist. Erstaunlich ist auch, dass kein Bierkrug und auch keine einzige Bowle das Prädikat "Phanolith" erhielt, dafür aber Vasen, Jardinieren, Wandbilder- und teller, Blumentöpfe und Medaillions, eine Uhr und eine Schmuckdose.
Die folgenden beiden Bilder zeigen Ausschnitte der identischen Vasen (Form und Dekor) #2446 (oberes Bild) in Kamee und #7010 (unteres Bild) in Phanolith
Von Kamee zum Phanolith ...
Ein großes Problem für den Künstler Jean-Baptiste Stahl bei seinen Reliefarbeiten war das mangelnde Hervortreten von Details. Was nützte die feine Ausarbeitung der Modelle, wenn nach dem Brand der Artikel diese nicht mehr zu erkennen waren.
So arbeitete er lange Zeit unermüdlich daran, die benutzte Masse für seine Modelle zu verbessern. Etwa Mitte 1898 konnte dann eine porzellanähnliche Substanz hergestellt werden, die seine Anforderungen erfüllte.
Mit dieser neuen Masse war es möglich, sehr dünne Auflagen für seine Objekte zu erstellen, die auf einem farbigen Hintergrund eine bisher unerreichte Tiefenwirkung zuließen. Ein komplexes Spiel zwischen Licht und Schatten konnte nun durch die unterschiedliche Dicken der Reliefauflagen realisiert werden. Jean-Baptiste Stahl perfektionierte dieses Verfahren und es war die Basis für seinen späteren beruflichen Erfolg.
Die linke Bildreihe dieser Seite zeigt die Entwicklung vom Reliefdekor über Kamee hin zum Phanolith.
Die ersten Krüge, die man in Mettlach herstellte, wurden im Basreliefstil, allgemein "Relief", modelliert. Das Dekor bestand meist aus braunen und grünen Blättern und Ranken (siehe Bild 1) auf hellbraunen oder braunen Hintergrund.
Im Laufe der Zeit (etwa ab 1880) änderten sich die Motive und man fing an auf mehr dekortaive Reliefdarstellungen z.B. Figuren (siehe Bild 2) um zu schwenken. Die Reliefs selber wurden filigraner ausgearbeitet und die Massen bereits deutlich dünner aufgetragen.
Der Übergang zu Kamee-Produkten, dessen Motive im Vergleich zu Reliefgegenständen nicht so weit vom Korpus hervorragten, war eingeleitet (siehe Bild 3).
Bei Kameen wird bereits ein mehr transluzentes, porzellanähnliches Material eingesetzt, das es erlaubte, die Schattierungen der Grundfarben in besonders dünn aufgetragenen Bereichen des Reliefs durchscheinen zu lassen.
Bei der ländlichen Szene auf Bild 4 versuchte Jean-Baptiste Stahl bereits eine gewisse Dreidimensionalität darzustellen. Aufgrund des dunkleren Farbtons erscheinen z.B - der Hund, der tote Hase und der Arm der Person mit der Stange - im Hintergrund. Der Hund ist so detailliert dargestellt, dass man die Rasse durchaus bestimmen könnte. Am Nacken der abgebildten Frau wurde die Transprarenz dazu genutzt, Schatten darzustellen.
Die Ungezwungenheit bzw. Ruhe, in der die 3 Personen interagieren, ist bemerkenswert und erinnert an die Ruhe beim Zeichnen von Jean-Baptiste Stahl. Die ganze Szene wirkt sehr vertraulich, wobei die dargestellte Kleidung das Ganze in einen historischen Kontext bringt.
Bild 5 zeigt das Wirken des Künstlers in seiner Vollendung (rechteckige Bildszene aus dem "fliegenden Holländer" mit der Formnummer #7046). Es ist nochmals eine deutliche Erhöhung der Transluzens der Motive durch die Verbesserung der prozellanartigen Masse, welches in Mettlach mit dem Namen “Phanolith“ bezeichnet wurde, erkennbar. Jetzt waren echte dreidimensionale Eindrücke möglich und man hatte das Gefühl, dass das Licht von einem bestimmten Punkt aus auf die dargestellte Szene scheint. Wie ein Maler nutze Jean-Baptiste Stahl die Farbgestaltung der weißen Porzellanmasse, um Licht, Schatten, Tiefe und Plastizität auszudrücken.
Alle Formnummern, die mit der Zahl #7xxx beginnen, sind als echte Phanolith-Produkte anzusehen und stellen auch den Höhepunkt der Entwicklung dieser Verfahrentechnik dar. Phanolith-Modelle waren damals etwa doppelt so teuer wie kameeartige Objekte (mit Formnummern #2xxx bzw. #3xxx). Auf der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 waren die Phanolith-Waren von Jean-Baptiste Stahl das Highlight der Präsentation auf dem Villeroy und Boch Messestand.
Die folgenden drei Teller-Dekore mit identischem Motiv (2x Formnummer #2443 und 1x Formnummer #7014) zeigen noch einmal sehr deutlich die Unterschiede zwischen Relief, Kamee und Phanolith.