Werkszeichenschule der Faiencerie in Mettlach
Im April 1851 schuf Eugen von Boch in Mettlach eine Werkszeichenschule. Am Zeichenunterricht konnten alle teilnehmen, die in der Faiencerie künstlerisch tätig waren. Eugen von Boch, der selbst ausgezeichnet malte, wollte damit das künstlerische Niveau seiner Mitarbeiter heben und die wirtschaftliche und künstlerische Entwicklung der Faiencerie nachhaltig fördern.
Die Mettlacher Zeichenschule galt somit als Vermittler einer technischen und künstlerischen Ausbildung in der damaligen Zeit.
Die Existenz einer Vielzahl von Feder-, Bleistift- und Rötelzeichnungen lassen den Schluß zu, dass der Unterricht mit dem einer Akademie zu vergleichen war. Es gab kein Motiv, das nicht auf dem Unterrichtsprogramm stand. Tiere und Menschen sowie Details ihrer Anatomie bis hin zu Landschaften.
Die einfach stilisierten Pflanzenelemente, die wohl zur Dekoration der Architektur gedacht waren, schienen (nach Beurteilung von vorhandenen Werken) in der Anfangsstufe des Unterrichts gefertigt worden zu sein. Sie sind zwar exakt dargestellt wirken aber ein wenig steif, ohne viel Schwung und zu bieder.
Die dargestellten Landschaften haben die typische romantische Note des 19. Jahrhunderts: zerfallene Gebäude, Chalets im Gebirge usw. Perspektivisch sind sie korrekt. Die Darstellungen werden belebt durch Pflanzen und Bäume, die den sonst trockenen Charakter der Szene mildern, ansonsten ist aber kein Mensch, kein Tier zu entdecken.
Die historisierende Färbung der Kunst im 19. Jahrhundert geht nicht spurlos am Unterricht der Zeichenschule vorbei. Was die Personaldarstellungen betrifft, stellt man fest, dass nicht unbedingt nach dem lebenden Modell gearbeitet wurde.
Man hat Portraits von Dürer, Holbein usw. vor Augen und greift so in die Formensprache des späten Mittelalters und der Renaissance. Geübt wird sowohl das rechte als auch das linke Profil, auch das Halbprofil. Das ist nicht selbstverständlich, denn jeder hat die Neigung, meistens nur das linke Profil zeichnen zu können. Kleidung und Frisur sind nur skizzenhaft angedeutet, das Gesicht ist das wichtigste und der "Schüler" zeigt es.
Es war die Pflicht der damaligen männlichen Jugendlichen der Malerei und der Steinmass (= Steinzeugabteilung) im Unternehmen, diese Schule zu besuchen. Der Unterricht fand während der Arbeitszeit statt, jeweils dienstags- und freitagsvormittags von 10-12 Uhr. Die Schüler hatten dadurch keinen Lohnausfall.
Die Schule war unter dem Dach der Steingutfabrik eingerichtet, der später Bisquitspeicher wurde.
Als Zeichenlehrer in der Mettlacher Zeichenschule waren folgende Personen tätig (im Zeitraum von 1885 - 1915):
- Jean Beck (von 1885 - 1890 in der Firma beschäfttigt, Leiter der Zeichenschule und Dekorationschef bis 1890)[1]
- Peter Winkel (wurde am 01.10.1880 in der Firma eingestellt, ab 1890 war er (kommissarischer) Leiter der Zeichenschule)
- Heinrich Zimmer (Werksführer, wurde am 18.10.1876 in der Firma eingestellt)
- Johann Zimmer (Bruder von Heinrich Zimmer, wurde am 15.10.1880 in der Firma eingestellt)
- Jean-Baptiste Stahl (Modelleur, wurde am 01.04.1895 in der Firma eingestellt)
Eine bekannte Ausnahme eines Ausbilders in Mettlach in dieser Zeit, der Schüler der Firma in Malerei nicht in der Zeichenschule, sondern in seinem eigenen Atelier in Mettlach-Keuchingen unterrichtete, war der Spätromantiker Wilhelm Göttinger aus Frankfurt am Main. Er wurde am 15.01.1897 als Keramikmaler in einem Arbeiterverhältnis (nicht Angestelltenverhältnis) in die Firma geholt.
Der erste Weltkrieg führte dazu. dass der bis dahin erfolgreiche Schulbetrieb im Jahre 1915 eingestellt wurde. Damalige Zeitzeugen berichteten aber, dass es trotzdem auch danach (1915-1919) noch Unterricht gegeben haben muß, insbesonders in der Bunt-, Band- und Delftmalerei.
Im Jahr 1920 wurde im gleichen Saal die Zeichen- und Modellierschule wieder eröffnet. Der Unterricht fand aber jetzt nach Arbeitsschluss statt und die Teilnahme war freiwillig. Mit 18 männlichen Jugendlichen fing man an. Als Lehrer waren für Malen / Zeichnen Peter Winkel (ein fleißiger Künstler der "alten Münchner Schule") und für das Modellieren Jean-Baptiste Stahl tätig. Keinen direkten Unterricht, aber sehr viele nützliche Anregungen bekamen die Schüler von dem Blumenmaler Albert Lessel, der am 20.04.1876 in die Firma eingetreten war und am 02.06.1925 verstarb.
Über die Entwicklung der Zeichenschule in dem Zeitraum nach 1920 gibt es nur wenige Belege. Der Fund von 2 kleinen Arbeitsmappen in den 1990er auf einem Speicher in der Generaldirektion in Mettlach gab weitere Anhaltspunkte. Die eine Mappe trug die Beschriftung "alte Schule", die andere "Werksschule". Aus diesen Mappen geht hervor, dass man auch noch in den 1930er Jahren Unterricht in der Mal- und Zeichenschule abhielt. Erwähnt wird auch ein Kursleiter namens Ludwig Winkel, der Sohn des ehemaligen Zeichenlehrers Peter Winkel.
Ab 1936 wurde die bisher existierende Mal- und Zeichenschule weiter ausgebaut und am 03.03.1939 dann die neu geschaffene Werksschule eröffnet. Aber wenn man es genau betrachtet, war es jetzt keine Mal- und Zeichenschule mehr, sondern eine Betriebsschule, in der folgende Vortragsabende veranstaltet wurden:
- Geschichte der Firma
- Herstellungsverfahren, Formgebung und Modelle
- Fehler, deren Entstehung und Vermeidung
- Vorbereitung der Ware zum Brennen
Wie lange diese Betriebsschule existierte, ist nicht bekannt. Aber es scheint ziemlich deutlich zu sein, dass die "alte" Mal- und Zeichenschule nach 1938 nicht mehr weitergeführt wurde.
[1] Jean Beck wurde im Zeitalter des Historismus 1862 in Mettlach geboren und wurde dort in der Dekorationsabteilung von der Firma Villeroy & Boch zum Keramiker ausgebildet. Mit 17 Jahren ging er nach München und studierte dort 6 Semester an der Kunstgewerbeschule. Während seiner weiteren Studienaufenthalte an der Universität in München (Kunstgeschichte und Stillehre) und Dresden, arbeitete er als Volontär in der Mettlacher Steingutfabrik. Etwa Mitte der 1880er Jahre wurde er Dekorationschef und Leiter der Zeichenschule bei Villeroy & Boch in Mettlach. 1890 verließ er dann wieder Mettlach und ging zurück nach München, wo er 1938 verstarb. Für Mettlach hat er nachweislich (signierte Objekte) den Krug #1526/587 und die Wandteller #1044/126, #1044/127, #1044/141 und #1044/142 kreiert.
Unterschriften der Lehrer Peter Winkel (Zeichnen) und Jean-Baptiste Stahl (Modellieren)